„Auch zukünftig brauche ich Strukturen? … dann bin ich doch wieder in der alten Arbeitswelt? Ich verstehe das nicht.“ So war die Reaktion eines Zuhörers als ich mein Bild und Verständnis vom Wandel der Arbeitswelt vorgestellt habe. Was genau ändert sich also in Hinsicht auf Strukturen in Organisationen und was bedeutet es für Führung und Zusammenarbeit? Das sind die Kernfragen in diesem Artikel, die Fortsetzung des Artikels „Selbstführung in der neuen Arbeitswelt“.
Neue Arbeitswelt: immer weniger klassische Rahmenbedingungen und Grenzen
Grenzen sind für unsere innere Ordnung wichtig. Sie nähren unser Bedürfnis nach Struktur und geben uns das wichtige Gefühl von Klarheit und Berechenbarkeit. Sie helfen uns zu unterscheiden zwischen innen und außen, zwischen Spaß und Ernst. Sie gliedern unser Leben, geben uns einen Rhythmus.
Aktuell ändern viele Organisationen ihre Strukturen: Klassische Arbeitsplätze und Raumaufteilungen verschwinden. Weitere haltgebende Elemente wie klassische Organigramme oder fixe Arbeitsplätze werden immer mehr aufgelöst. Flexible Arbeitsformen und Matrixstrukturen nehmen zu. Was macht das mit uns? Wir neigen dann mehr zur sogenannten Entgrenzung. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit oder zwischen den Rollen Führungskraft und Mitarbeitenden verschwimmen. Früher konnten wir uns eher an einer Stellenbeschreibung und Hierarchie orientieren. Diese Leitplanken gibt es immer weniger. All dies wirkt sich auf unser Gefühl von Klarheit aus, welches elementar für Motivation und Zufriedenheit am Arbeitsplatz ist.
Neues und agiles Arbeiten: Vereinbarungen schließen die Strukturlücke
Gefühlt fällt also viel Struktur im Außen weg. Doch wir haben weiterhin ein Bedürfnis danach! Wie schließen wir diese Lücke sinnvoll, sodass wir uns gut fühlen? Das Modell der Vereinbarungen und Verträge aus der Transaktionsanalyse gibt uns eine neue Form der Struktur. Sie ist im Vergleich zu den alten Strukturen weniger offensichtlich, sondern persönlicher und zwischenmenschlicher.
Ursprünglich wurde dieses Konzept für den Kontext Beratung und Therapie entwickelt. Vereinbarungen „spielen im Zusammenleben von Menschen eine herausragende Rolle für Verlässlichkeit, Vertrauen, Sicherheit und Entwicklung.“ Vereinbarungen unterstützen und in der Zusammenarbeit, so dass wir uns im wahrsten Sinne „vertragen“. Und dies benötigen wir mehr denn je in der heutigen Arbeitswelt. Es gilt, möglichst reibungslos zusammenzuarbeiten.
Eine gute Vereinbarung beinhaltet folgende Aspekte:
• organisatorischen Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit (z.B. Form der Zusammenarbeit, Form der Kommunikation)
• inhaltlichen Aspekte der Zusammenarbeit (Ziele, Verantwortlichkeiten, Aufgaben, wer hat eine Hol- und Bringschuld, Vorgehensweisen)
• psychologische Aspekte der Zusammenarbeit, oftmals unausgesprochen (Erwartungen, Vorbehalte und Hoffnungen, Einstellung dem Vertragspartner gegenüber)
Führung und Selbstführung mit Vereinbarungen
Wir fühlen uns unsicher, überfordert oder auch wütend, wenn wir mit uns persönlich oder in der Zusammenarbeit zu hohe Erwartungen und Vereinbarungen haben. Deshalb empfehle ich sehr gerne eine ausführliche Standortbestimmung und Rollenklärung mit der Vertragsarbeit.
Die eigene Person wird in die Mitte gesetzt und dann mit den unterschiedlichsten Vertragspartnern verbunden. Fragen Sie sich
• Was ist wirklich meine Rolle? Passt meine Erwartung an mich – oder ist sie zu hoch?
• Ist mir meine Verantwortung in der Zusammenarbeit klar?
• Habe ich in meinen beruflichen Beziehungen die Erwartungen an meine Vertragspartner explizit einmal ausgesprochen? Bin ich transparent?
Ich kann mir vorstellen, dass Du nun denkst: Das ist ja nichts Neues. Das ist doch basic und banal. Stimmt. Und doch wird es oftmals als zu selbstverständlich betrachtet, im Sinne „ist doch klar, was die Aufgabe und die Verantwortung ist“. Bei genauem Nachfragen wird dann doch deutlich, dass die Verantwortungen unterschiedlich wahrgenommen werden. Offene und mutige Kommunikation schließt diese Wahrnehmungslücke und katalysiert die Zusammenarbeit.
Den eigenen Verantwortungsbereich selbst gestalten und füllen statt eine Aufgabe hierarchisch abarbeiten – das ist die eigentliche Veränderung insbesondere für Mitarbeitende.
So erinnere ich mich an eine Situation zwischen einer Führungskraft und einer Mitarbeitenden. Die Mitarbeiterin fasste sich ein Herz und sprach an, dass sie es in der Verantwortung ihres Chefs sieht, einen Geschäftsbereich auch in Zukunft zu unterstützen und nach vorne zu bringen. Worauf der Abteilungsleiter meinte: „Nein, das ist nicht mehr nur meine Aufgabe, sondern auch Deine. Mach einen Business-Case, hab Ideen, wie wir den Bereich ausbauen wollen und dann unterstütze ich Dich und das Geschäftsfeld gerne.“
Dieses Beispiel zeigt: Vertragsklärung geht auch pragmatisch und schnell. Ich behaupte: mit einer guten, persönlichen Vorbereitung zur eigenen Rollenklärung gelingt sie besonders gut.
Eine einzige Frage für mehr Struktur in der Zusammenarbeit
Die Vertragsarbeit gibt uns Klarheit über unsere Beziehungen im Führungsalltag. Sie können sich insbesondere in Veränderungsprozessen fragen: Wer ist wofür im Prozess verantwortlich? Wer gibt Strukturen und Zielorientierung? Wer setzt um?
Unabhängig von der allgemeinen Zusammenarbeit und Rollenklärung können wir die Vertragsarbeit in Meetings und Telefonaten nutzen. In der Beratung ist die erste Frage immer:
Was genau ist Ihr Anliegen?
Diese Frage kannst Du Dir selbst als Vorbereitung für Besprechungen stellen. Und Du kannst Sie Deine Gesprächspartnern fragen, insbesondere wenn sehr viel gesprochen und um den Brei herum geredet wird. Es klingt so einfach, so banal. Und es ist so notwendig, denn die Meetingkultur ist immer noch ausufernd. Umso wichtiger ist, dass wir zielorientiert und fokussiert kommunizieren.
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Quellen:
• Anke von Platen: Führen mit Herz, Kopf und Hand
• Johann Schneider: Auf dem Weg zum Ziel: Der Vertragsprozess – ein Schlüsselkonzept erfolgreicher professioneller Begleitung, Paderborn, Jungfermann, 2002